Nicht Zurückhalten einer Start- bzw. Landefreigabe
Dieses Verfahren ist kein verpflichtender Bestandteil der S1-Ausbildung.
Einführung
Eine Start- bzw. Landefreigabe kann unter gewissen Umständen auch dann schon erteilt werden, wenn die Piste noch nicht frei ist. Es muss jedoch ausreichende Gewissheit darüber bestehen, dass die Piste frei sein wird, sobald der Inbound die Pistenschwelle überfliegt oder der Outbound den Startlauf beginnt.
Dieses Verfahren kann die Frequenzbelastung reduzieren und die Effizienz auf der Frequenz vor allem bei hohem Verkehrsaufkommen erhöhen. Eine Anwendung dieses Verfahrens setzt allerdings ein hohes Maß an Kenntnis und Erfahrung voraus.
Die Krux an der Sache ist die Vorgabe, dass "ausreichenden Gewissheit" bestehen muss, dass die Piste frei sein muss, sobald die Start- oder Landefreigabe ihre Wirkung entfacht. Der Ausdruck "ausreichende Gewisseheit" bietet natürlich einen großen Interpretaionsspielraum. Empfehlenswert ist es im Sinne der Sicherheit, die in der Flugsicherheit trotz allem an oberster Stelle steht, für das eigene Mindset das Wort "ausreichend" möglichst zu Streichen und das Verfahren nur anzuwenden, wenn "Sicherheit" besteht, dass die entsprechenden Bedingungen zum nötigen Zeitpunkt erfüllt sind.
Startfreigabe
Situation (A): Ohne das in diesem Artikel beschriebene Verfahren darf ich zu diesem Zeitpunkt keine Startfreigabe erteilen, da GRÜN das Bahnende noch nicht überflogen hat und die Piste daher noch belegt ist. Jetzt kommt aber die Erwägung der "ausreichenden Sicherheit" ins Spiel. Als Lotse kann ich damit zum Zeitpunkt der Situation A die Startfreigabe erteilen, wenn ich "ausreichende Gewissheit" darüber habe, dass GRÜN bereits das Bahnende überflogen haben wird und die Startbahn frei sein wird, wenn BLAU den Startlauf beginnt. Diese Situation ist dann bildlich in Situation (B) dargestellt.
Dieses Verfahren kann auch unter reduzierter Pistenstaffelung (RRS) angewendet werden. Wirbelschleppen- und/oder Radarstaffelung müssen trotzdem eingehalten werden, sofern erforderlich.
Landefreigabe
Situation (A): Ohne das in diesem Artikel beschriebene Verfahren wäre eine Landefreigabe nicht möglich, da die Piste noch durch das landende Flugzeug GRÜN blockiert ist. Als Lotse kann ich jedoch bei Anwendung des "Nicht-Zurückhaltens einer Landefreigabe" die Landung freigeben, wenn ich "ausreichende Gewissheit" darüber habe, dass GRÜN bereits die Piste verlassen haben wird und die Startbahn somit frei sein wird, wenn BLAU die Landebahnschwelle überfliegt. In Situation (B) ist das vorher beschriebene eingetreten und das Verfahren wurde korrekt angewendet. Aus den unter "Startfreigabe" genannten Gründen ist es allerdings schwer beim Verlassen eines Flugzeuges das Tempo vorherzusagen und somit "ausreichende Gewissheit" zu erreichen.
Das Verfahren kann auch verwendet werden, wenn vor dem landenen Verkehr ein Abflug stattfindet. Ist dieser abgehoben, so kann relativ gut mit "ausreichender Sicheheit" vorhergesagt werden, ob die Piste frei sein wird, wenn der Anflug die Pistenschwelle überfliegt. In diesem Fall darf dann also die Landefreigabe schon gegeben werden, bevor der Abflug das Bahnende überflogen hat, sofern beim Überfliegen der Bahnschwelle des Anflugs die Piste frei sein wird.
Dieses Verfahren kann auch unter reduzierter Pistenstaffelung (RRS) angewendet werden. Wirbelschleppen- und/oder Radarstaffelung müssen trotzdem eingehalten werden, wenn es erforderlich ist.
Phraseologie
An der Phraseologie ändert sich nichts im Vergleich zur "normalen" Start- und Landefreigabe. Eine Verkehrsinformation ist bei Anwendung des Verfahrens nicht vorgeschrieben. Wie immer kann aber eine Verkehrsinformation zu einem besseren Situationsbewustsein auf Piloten- und Lotsenseite beitragen.
Beispiele
Das Verfahren dient vor allem dem Zweck, die Frequenz vor allem bei viel Verkehr effizienter zu nutzen und z.B. einen zweiten unnötigen Funkspruch zu verhindern.
Beispiel 1 (siehe Bild): DLH9AX steht am Rollhalt und meldet, dass er ready ist. Der vorherige Abflug ist airborne und wird in ca. 10 Sekunden das Pistenende überflogen haben. Dank dieses Verfahrens kann ich direkt die Takeoff-Freigabe geben, obwohl zu dem Zeitpunkt ja noch keine Pistenstaffelung besteht. Ich habe nämlich ausreichende Gewissheit darüber, dass die Pistenstaffelung zu dem Zeitpunkt bestehen wird, wenn der hintere Flieger seinen Startlauf beginnt, da zwischen der Lineup-Anweisung und dem Beginn des Takeoffs mit ausreichender Sicherheit mehr als 10 Sekunden liegen werden.
Beispiel 2 (siehe Bild): TAM8070 meldet sich im 8 NM Endanflug. Die vorherige Landung ist gelandet und rollt gerade auf der Piste aus. Dank dieses Verfahrens kann ich direkt mit dem Initial Call zum reinrufenden Inbound die Landefreigabe geben, obwohl zu dem Zeitpunkt ja noch keine Pistenstaffelung besteht. Ich habe nämlich ausreichende Gewissheit darüber, dass die Pistenstaffelung zu dem Zeitpunkt bestehen wird, wenn der hintere Inbound die Pistenschwelle überfliegt, da dieser noch ca. 3 Minuten bis zur Piste braucht und der vordere Inbound gleich die Piste verlassen wird.
Natürlich muss ich als Lotse die Situation dennoch beobachten, sollte aus irgendeinem Grund die Staffelung doch nicht gegeben sein, muss ich die Freigabe zurückziehen.
Das Verfahren sollte nicht in engen Situationen verwendet werden (z.B. wenn der hintere Inbound schon im short final ist und der vordere Inbound noch nicht ganz die Piste verlassen hat) - hier besteht nämlich keine ausreichende Gewissheit über die Staffelung zum Zeitpunkt des Schwellenüberflugs. Stattdessen sollte mit der Landefreigabe gewartet werden, bis die Piste auch tatsächlich frei ist.